Die Pforten zum "Himmelreich" stehen am 5. März 2022 sperrangelweit offen für Helfer und Hilfsgüter
Es ist der 10. Tag des russischen Militäreinzugs in die Ukraine. Die Welt, Europa, Deutschland und Schwielowsee unter Schock. Und Caputh in karitativer Aufbruchstimmung. Bald ist die Grenze der 1. Million an flüchtenden Ukrainern erreicht. Seriöse Quellen rechnen mit 10 Millionen Flüchtenden, der am schnellsten wachsenden Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.
Es ist Zeit zu handeln
Die Groß-Familie, die das "Camping Himmelreich" in Caputh betreibt, sattelt über Nacht um auf Charity & Logistik und erhält am 5. März 2022 Zuspruch und Zustrom aus den umliegenden Gemeinden in Schwielowsee, Potsdam und sogar dem fernen Leipzig.
"Mit einer Hilfsaktion für die Ukraine in die Saison 2022 zu starten, das hätten wir uns nicht träumen lassen", staunt William Groß über die familiären Anstrengungen der letzten Tage. "Corona ist so gut wie weg" aus den zivilen Sorgen der Menschen.
Der Applaus ist ihr Lohn.
Sammeln, kartonieren, stapeln, transportieren
Um 14 Uhr brummt der Openair-Hilfsgüter-Laden auf dem Campingplatz. Wer fahren oder laufen kann, schafft Tüten, Säcke, Kartons und Kisten heran:
Fotos 1+2: Bart Spencer
Tüten und Säcke sind für den Transport ungeeignet. Also heißt es: umpacken in logistisch platzsparende kantige Kartons.
Umzugskisten und Klebebandrollen gehören zum Service der Veranstalter.
Junge Ehrenamtler:innen springen mit ihren geschulten Händen ein und mit ihren flinken Füßen auf die wachsenden Stapelberge im LKW-Laderaum, allen voran Emilia und Maya (Fotos 1+2):
Foto 3: Bart Spencer
Die Produktpalette reicht von Schlafsäcken und Daunendecken über Kuscheltiere :
Foto 4: Bart Spencer
und Hygieneartikel zu Klappbetten, Elektronik und Autoersatzteilen. In Naturalien kommen Konservendosen und Mehl in Kunststofffässern aus Metzger Bothes Vorräten:
Fotos: Bart Spencer
Für den LKW-Transport sorgt Michael Neuhoff aus Berlin. Sein Einsatz: Transport- und Abschlepp-Erfahrung, kostenfreie Arbeitszeit, soziales Engagement.
In dieser ersten vollen Woche nach Kriegsausbruch seien schon 15 LKWs aus dem Potsdamer Raum in die Ukraine gefahren, berichtet er mir. Die Laster hätten er und die anderen Fahrer kostenlos ausleihen können, vom Berliner Spediteur Michael Schupetta.
"Am Montag rollen wir wieder mit 2 LKWs aus, durch Polen bis nach Lemberg, 100 km hinter der ukrainischen Grenze. Wenn wir überhaupt noch reinkommen", gibt er zu bedenken.
"Aber wir hoffen, dat allet jut ankommt", bleibt er optimistisch.
Lemberg / Lwiw ist eine wichtige Drehscheibe für die Versorgung der ukrainischen Bevölkerung mit Sachspenden aus europäischen Ländern.
Auch "Bares für Rares"
muss als Publikumsmagnet herhalten, durchaus mit Unterhaltungswert, auch wenn die Gewinnabsicht nicht kommerziell, sondern karitativ motiviert ist.
Martin Kapp und Mike Sommerfeldt, bei aus Potsdam, sind die Moderatoren.
Künstler, Fotograf und Sportler bieten ihre Wertsachen zum Verkauf an.
"Meine Gemälde gehen für € 150 weg, 'ne ganze Menge ist schon verkauft", freut sich der Potsdamer Maler Wolf-Dieter Pfennig, bekannt für seine heiter-ironischen Motive. "Und 100% gehen in die Ukraine-Kasse, ich rühr' das Geld nicht an."
Ebenso im Angebot und schnell weg sind die bemalten XXXL-Flipflops mit Pin-up-Girls von des Malers geschickten Pinselstrichen und der zündenden Idee von Roger Groß, Senior-Chef im "Himmelreich",
die Riesenriemchen mit Leuchteffekten auszurüsten. "Leute hängen sich das auf, auf der Terrasse oder im Garten", spekuliert das Designer-Team.
Bart Spencer, mit bürgerlichem Namen Olaf Klein, findet dankbare und spendierfreudige Abnehmer für seine großformatigen künstlerischen Fotografien. Der Italo-Schauspieler Bud Spencer, bekannter US-Actionheld mit "Vier Fäusten" neben Terrence Hill, stand Pate beim Künstlernamen des Potsdamer Fotografen, sein gestyltes Gesichtshaar lieferte wortspielerisch die Variante 'Bart'.
Den Helm von Kevin Kuske, dem ehemaligen Bobsportler, mehrfachen Olympiasieger und Vereinsmitglied beim SC Potsdam, preist Moderator Martin Kapp zur Versteigerung an.
Martin lässt es langsam und lustig angehen: "Einmal Streicheln für € 20", das ist sein Einstiegsangebot.
Alle Euroscheine wandern in den himmelblauen Retro-Briefkasten mit Einwegklappe. Die erwirtschafteten und auch die ohne Kauferfolg. Jede und jeder zweigt ab, freudig, was das Spenderherz hergibt:
Fotos: Bart Spencer
"Warum Bargeld, fragen mich die Leute. Ich sag' es euch", klärt Michael Neumann am Mikrofon die Spendengemeinschaft auf. "Auf unseren ersten Fahrten diese Woche in die Ukraine habe ich in U-Bahnhöfen Mütter gesehen, die grad entbunden hatten. Da fehlen Hygieneartikel. Ja, und Verwundete gibt es jede Menge. Die brauchen Verbandszeug und Schmerzmittel. Alles wichtig. Aber was haben alle gemeinsam? Hunger! Also, wir brauchen Lebensmittel und Bargeld für noch mehr Lebensmittel, die wir hier kaufen und dann rüberbringen."
Caritas und Camping Lifestyle
Wer gespendet hat, bleibt noch:
bei ernsten wie entspannenden Gesprächen, erleichtert und froh, dass mit dieser Spendenaktion direkt aus dem "Himmelreich" den Menschen, die in der umkämpften Ukraine ausharren oder in die angrenzenden westlichen Länder Europas fliehen, ein Bruchteil ihres Leids gelindert werden kann:
Fotos (bis auf Nr. 4): Bart Spencer
Für die kulinarische Wärme sorgt das Catering:
aus der heimischen Restaurantküche, mit Max Groß (re) und Mitarbeiter Hocke am Kochtopf:
Fotos: Bart Spencer
vom auswärtigen Getränketruck:
Fotos: Bart Spencer
und dem immer angesagten Würstchengrill:
Kinder können kunstvoll kolorieren - Ostern steht vor der Tür. Zuckerwatte gibt's für den heißen Hunger:
Fotos 2-4: Bart Spencer
Flotte Klänge zwischen Funk, Soul und Jazzrock spendet die Potsdamer Band Triologie mit Sebastian "Ray" Strahl (keys), Matti Thölert (drums) und Marcel Siegel (bass). Das Freundschaftshonorar von € 300 übernimmt das Mike Sommerfeldt:
Fotos: Bart Spencer
Feuer und Flamme für die Ukraine
Wie das Olympische Feuer könnte die Flamme aus der Feuerschale im "Himmelreich" weitergetragen werden:
als nie versiegende Quelle der Hilfsbereitschaft, wenn Not (nicht nur) am Manne ist.
Ein einprägsames Zeichen der gelebten Völkerverständigung setzen zwei Menschen, German und Julia, die in Russland bzw. in der Ukraine geboren und in Deutschland aufgewachsen sind. Sie appellieren an die humanitäre Vernunft im Konflikt zwischen ihren beiden Ursprungsländern und bauen darauf, dass der kulturelle wie politische Zusammenhalt in Europa weiterlebt - so wie heute in der konzertierten Aktion in der Gemeinde Schwielowsee.
Foto 1: Bart Spencer
Wer nach der "Himmelreich"-Spendenaktion
weiter Hilfsgüter und Bargeld für die Ukraine
im Potsdamer Raum spenden möchte,
kann sich auf der Facebook-Seite von Michael Neuhoff zeitaktuell informieren:
https://www.facebook.com/abschleppdienst.potsdam
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