Nach dem Corona-Aus im letzten Jahr ist die Caputher Kunst-Tour 2021 wieder in full swing
Besucher der 14. Caputher Kunst-Tour am 28./29. August 2021 schätzen die „einmalige Verbindung zwischen Kunst und Natur. So viel Kunst auf so engem Raum! Das ist ein schöneres Erlebnis als in den Berliner Häuserschluchten“, schwärmt eine Berlinerin, erklärter Stammgast in Caputh. Ja, Caputher Künstler leben in der Natur und engagieren sich für sie! Und uns!
15 Stationen locken mit Bannern. 15 Standorte mit einzelnen oder mehreren Künstlern gilt es zu erwandern, 15.000 Schritte und mehrere lohnende Stunden sind es locker, wenn man überall vorbeischauen, verweilen, mit Künstlern und Zufallsbegegnungen plaudern möchte - und diese unschlagbare Kombi Kunst & Kulinarik genießen will.
Eilige Kunstkonsumenten entscheiden sich für die Turbo-Tour:
Das Gemeindehaus der Ev. Kirche Caputh,
Station 1 im Flyer des Kulturforums, stellt von allen teilnehmenden Künstlern je ein Werk aus. Das hinterlässt schon einen intensiven Eindruck von Vielfalt, weckt aber auch die Lust auf mehr.
Also: Auf zu den Künstlerinnen und Künstlern in Höfen und Gärten und ins alte Gemäuer von Caputh!
24 Kunstschaffende sind es dieses Jahr insgesamt, die die Kunstszene in Caputh an zwei Wochenenden im Spätsommer aufleben lassen. Etwa ein Drittel von ihnen ist freiberuflich, ein weiteres Drittel noch im erwerbspflichtigen Alter und auf doppelter Spur von Broterwerb und künstlerischer Freiheit. Das letzte Drittel beeindruckt mich am meisten: Menschen aus bürgerlichen wie künstlernahen Beschäftigungen kennen keinen gesellschaftlichen Schlusspfiff wie "Renteneintrittsalter" oder "Lebensregelarbeitszeit und wollen auch mit 67+ Jahren auf Touren bleiben. Kunst kennt keine (Alters-)Grenzen!
Die Höfe haben es in sich!
Verborgen hinter oft schlichten Hausfassaden, die nicht Spektakuläres erwarten lassen, gibt es an diesem letzten Augustwochenende Überraschendes zu entdecken.
Im Offenen Hof von Susanne Hoffmann stehen Holzfiguren von Bodo Henke, mit 84 Jahren wohl der Älteste der Caputher Kunstszene. Er schnitzt Paare „gegen das Alleinsein.“ Aus Brandenburg zu Gast bei seiner Tochter Susanne schätzt er den Holzstapel im Hof (s. mittleres Foto) als Materialvorrat für seine Schnitzereien, zu kostbar als Brennholz für den Kamin.
Dietmar Block stellt Modelle seiner Skulpturen aus, alles baugebundene Unikate, die öffentliche Räume zwischen Brandenburg und den Niederlanden schmücken. "Ich beziehe zwar schon ein bisschen Rente", sagt der freiberufliche Bildhauer, "aber ich mache mein Ding weiter." Und ergänzt: "Die innere Welt, die man in sich trägt, sucht ein Ventil, will Form annehmen." Er ist nicht er einzige Kunstschaffende auf der diesjährigen Tour, der nach Ende des Berufslebens kreatives Arbeiten als Lebenselexier braucht - und genießt.
In seiner Keramikwerkstatt illustriert Matthias Panser, wie er seine im Holzofen in einem aufwändigen Verfahren gebrannten Tonobjekte für Küche, Tisch und Garten auf die Keramikmärkte bringt, diesen Herbst unter anderem in Oranienburg (18./19.09.). Seine Ausbildung zum Bauingenieur war zielführend bei der ideen- und arbeitsreichen Um-wandlung eines ehemaligen schlichten Ladens in der Weinbergstraße mit modrigen Lagerräumen auf Beton. Entstanden sind ein lichtdurchflutetes Wohnhaus mit Dachbalken und Fensterrahmen aus heimischen Hölzern, ebensolche Ferienwohnungen, eine helle Werkstatt mit Terrakotta- und Ziegelausstattung und Gehwege aus einem Mix aus Robinienholzscheiben und Pflastersteinen.
Im Hof vor ihrem Atelier Farbgestaltung motiviert Christine Lindemann die staunende siebenjährige Inka, kleine Wachsbilder mit dem Bügeleisen herzustellen, ganz spontan und in Null-Komma-Nichts, das Mädchen nimmt stolz seine farb- und formschönen Karten im Passepartout mit nach Hause. Auch als Rentnerin machen der Künstlerin die Malkurse mit Grundschulkindern großen Spaß. Und erst jetzt findet sie die Zeit und Muße ihren eigenen kreativen Neigungen nachzugehen. Die Katalogtexte zu ihren rund 730 Bildern in verschie-denen Medien - Öl, Acryl, Aquarellfarben, Lehm - schreibt Tochter Anette Müller, selbst auch eine leidenschaftliche Gestalterin.
Durch die Gärten im Ort und an der Havel führt die Kunsttour weiter.
Viele Grundstücke sind schmal, aber bis zu 150 Meter tief, das Maß für Obstanbau-Parzellen aus früherem Großgrundbesitz, und bieten heute Raum für Wohn- und Künstlerhaus, für Lust- und Nutzgarten - oft die zweite Leidenschaft der Künstler, wie Silke Heydrich frei bekennt.
Im Atelier Pro Arte mit seinem Gartentor an der Havelpromenade bewundern Gäste die Werke sehr unterschiedlicher Künstlerfrauen in der Ausstellung "Seh-Stücke":
Buchskulpturen und Collagen mit Fundstücken aus der Natur von Siegrid Müller-Holtz und asiatische Tusche-arbeiten sowie Berliner Skizzen von Sooki, Südkoreanerin von Geburt und Wahlberlinerin seit 1984.
Am Sonntag, dem 05. September, geben beide Frauen ab 15 Uhr experimentier-freudigen Besuchern eine Einführung in ihre Maltechniken:
Siegrid in die Wachsmalerei,
Sooki in die Tuschmalerei.
In der SchlossGalerie Haape haben sich sechs lokale und branden-burgische Künstler zur Wechselaus-stellung "Momente des Magischen - Botschaften Märkischer Künstler" zusammengefunden, die noch bis zum 12. September 2021 geöffnet ist:
Melanie Haape, Siegrid Müller-Holtz und Thomas Freundner aus Caputh, Siegfried Gwodsdz aus Geltow, Sabine Breithor aus Langerwisch und Eike Rothe aus dem Spreewald.
Dies ist nur ein kleine Kostprobe der Exponate in der SchlossGalerie:
Holzschnitt "Soulfulness"(S. Gwodsdz), Keramiken "Der nachdenkliche König", "Zweisam", "Kleine Madame", "Kleiner Vogel" (S. Breithor), Ölgemälde "Okavango Träume"(M. Haape), Collage "Unser täglich Brot, I, II" (S. Müller-Holtz), Skulpturen in Holz "Blauer Mantel" und in Bronze "Morgens am Meer" (E. Rothe), Aquarell-Tagesskizze "Potsdam" und Öl auf Leinwand "Landschaft am Garz" (Th. Freundner).
Den vollen Reichtum an Kunst in der SchlossGalerie Haape, mehr Infos und Gespräche gibt's nur live vor Ort. Nix wie hin!
Im Garten vor der Galerie erleben wir live music: Amelie Protscher, promovierte Chemikerin, lebt ihre erste Leidenschaft aus, als Musikerin in der Berliner Jazz- und Blues-Szene. Heute untermalt die Pianistin das sommerliche Treiben der Galeriebesucher mit sanft gezupften Tönen von ihrer E-Gitarre.
Hinterm Haus, mit Blick auf den Bootssteg zum Templiner See, gibt es einen anderen Hörgenuss: eine Lesung mit der Schauspielerin Monika Bienert. Aber was für eine! Lesung wie Rednerin! Sie taucht das Publikum ein in die Literaturszene des frühen 20. Jahrhunderts.
Zwei Poeten des Expressionismus treffen 1912 explosiv aufeinander, Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn, es entwickelt sich eine ebenso poetisch wie erotisch befruchtende Liaison, ein halbes Jahr lang - das Wildeste, was die deutsche Literaturgeschichte erlebt hat. Und das Unkonventionellste: Sie ist 43, er 26. Im Berlin der wilden 20er-Jahre kommt das als cool rüber, vor allem ihre unverhohlen eindeutige Beziehungslyrik, die sie der Öffentlichkeit zum Mitlesen und Miterleben schenken. Daraus diese Zeilen aus Monika Bienerts mimisch belebtem Vortrag:
Else: "Rote Küsse malen deine Messer auf meine Brust, bis mein Haar an deinem Gürtel weht."
Gottfried: "Alles klingt in mein Herz, tief erlöst und schön geworden singt das Raubpack meines Blutes: Hallelujah!"
Die Wucht dieser metaphorischen Sexlyrik braucht eine kühles Intermezzo. Dies schenkt den gebannten Zuhörern Rebecca Lenton mit harmonischen Klängen von ihrer Querflöte.
Was für eine Artistenshow!
Galeristin Melanie Haape und Ehemann Johannes Haape fördern seit Eröffnung ihrer Galerie im August 2020 bekannte Künstler wie frische Talente aller Genres. Ihre Galerie ist der lebendige Angelpunkt für Kunstschaffende und Kunstliebhaber des Ortes und des weiteren Umfeldes bis Berlin und darüber hinaus.
Déja-vu - die Havelländische Malerkolonie zur Wende des 19./20. Jahrhunderts! Sie braucht ein Update!
Am Ortsende von Caputh, im Märkischen Gildehaus, beziehen zwei Gastkünstlerinnen aus Norddeutschland Quartier:
Maggie Luitjens mit Bildern in Mischtechnik aus Sand, Öl, Acryl oder Asphaltlack:
und
Ragna Reusch mit ihren körperbewussten und kurvigen kultigen Holzfrauen:
Geschnitzte Miniaturen sind Ragnas Markenzeichen.
Selbst für ihre feinmotorisch begabten Hände sind Zahnstocher eine Heraus-forderung - und "gut und günstig" zu haben: "Die hier sind von Edeka, aus Birkenholz, das ist faserig, sonst hätten wir ja oft Krümel zwischen den Zähnen", lerne ich.
Für mich schnitzt sie einen "Glücks-Pilz", in nur drei Minuten. "Das ist etwas, was ich in den Zeiten mache, wo andere vielleicht Strümpfe stricke", lacht sie.
"Beim Tatort."
Geglückte Kombination von Kunst und Prime-time-TV-Vergnügen!
Blogger-Glück!
Der
Pilz
geht
mit!
Und ein ehrliches Lob von Ragna Reusch für die "hervorragende Organisation der Kunsttour! Alles stimmt - Location am Wasser, helle Ausstellungsräume, der Flyer und die Logistik: Besucher finden wirklich zu uns, so abgelegen, wie wir sind hier am See! Und wir zum Beispiel freuen uns über unseren Verkaufserfolg nach nur einem Tag und über Auftragsarbeiten!"
Der Dank gilt Christina Faix vom Kulturforum Caputh und ihrem Team!
Ökologisch interessiert betreibt Doris Sprengel „künstlerische Forschung“ im heimischen Wald, dokumentiert ihre Funde in Zeichnungen und Drucken und stellt sie auf der Kunsttour in Barbara Taubers Manuskriptur am Schloss zur Schau. Die Frage: "Wie hat sich unser Wald verändert?" treibt die Germanistin und Romanistin mit Studium der Bildenden Künste in Berlin um. Vor Ort im Caputher Wald mikroskopiert und seziert sie Pflanzen, vor allem Samen- und Blütenstände von Kiefern - eine Frau als Forscherin in einer Männerdomäne. Noch an der Fundstelle entstehen ihre Zeichnungen, die sie dann auf Styreneplatten druckt.
Wenn Doris Sprengel nicht im Nutzwald, in ihren beruflichen Projekten der kulturellen Bildung oder mit ihren drei Kindern unterwegs ist, dann trifft man sie am waldigen Ortsrand im Chaos Kunst Klub Caputh an, zusammen mit der Designerin Claudia Köppelmann.
Im Haus der Klänge lässt Jürgen Motog seine Instrumente bestaunen und auf Wunsch erklingen, von eigener Hand wie auch von Anna, seiner musikalischen kleinen Nachbarin:
Jürgen Motogs Sammlung umfasst selbstgebaute Instrumente, z.B. Spinett und Harfe, an der Anna zupft, oder eine mittelalterliche Fidel, nachgebaut aus hochwertigen modernen Bausätzen. Instrumente aus Asien und Skandinavien ergänzen seine Sammlung, auch antiquarische, aber noch spielbare wie ein schwedisches Alphorn von 1841, eine Knochenflöte aus Wikingerzeiten oder eine persische Spießgeige. Andere Instrumente hat man dem leidenschaftlichen Sammler geschenkt, etwa eine finnische Tischzither, auf der er heute den Besuchern vorspielt: "War völlig geflashed, als mir Finnen auf der Zither was vorspielten." Auch ein Xylophon aus Java und eine Sita aus Indien kamen in sein Haus. "Auf der Sita muss man sieben Jahre lernen, bevor man daran denken kann, aufzutreten!" Und Auftritte liebt der Musiker mit seiner "Faszination für Klänge, Klangfarben und Töne".
An Posaune und Kasteninstrumenten ausgebildet, lebt der Musiker aus Lippstadt in Nordrhein-Westfalen und (nord)europäischer Globetrotter seit 2003 in Caputh für seine Leidenschaften: Musikschul- und Grundschulpädagogik, Klangtherapie, musikalisches Figurenschattentheater und Familiensingen in seinem Haus der Klänge, das literarisch-musikalische Programm "Magisches Gotland", das er mit seinem Ensemble "Tree" ab 26.09.2021 in Kleinmachnow aufführt.
Am Waldrand auf dem Spitzbubenweg hat Anke Debertshäuser in ihrem Atelier mit Feder und Tusche die Tierwelt Europas und Afrikas in Porträts versammelt.
Wie in einem paradiesischen Urzustand zeichnet die Künstlerin und Kunstpädagogin Tiere in ihrer "Einzigartigkeit und Schönheit" in Tusche: Hausschwein, Löwe, Glühwürmchen, Koala, Eisbär, Luchs, Hahn, Katze, Giraffe, Tiger, Wolf und Hase und viele andere mehr, mit dem Appell an uns Menschen, sie schützend in den kreativen Kosmos einzubeziehen.
Der Elefant hat die Künstlerin nachhaltig beeindruckt. Auf Reisen mit ihrem Mann durch Namibia und Botswana erlebt sie beim Zelten, wie die Nächte angefüllt sind mit unbekannten und unheimlichen, aber nie bedrohlichen Tierstimmen – und mit Überraschungsbesuchern. Eines Nachts schiebt sich wie zur Begrüßung ein Elefantenrüssel durch den Zelteingang und wieder zurück in die Höhe des Baumes, unter dem die beiden Reisenden ihr Zeltlager errichtet haben. Dort oben ist der Futterplatz der Herde, hängen die mirabellengroßen Früchte des Marula-Baums, auch Elefantenbaum genannt. Die Elefantenherde behandelt die ahnungslosen Zeltlagerer keineswegs wie feindliche Eindringlinge in ihr Habitat. Das Rascheln der Blätter und Knacken der Zweige beim Nachtmahl der Tiere ist kein beängstigendes Geräusch. Jeder Fußtritt der gewichtigen Tiere ist besonnen so gesetzt, dass Zelt und Campingausrüstung davor keinen Schaden nehmen. Mensch und Tier im friedlich geteilten Lebensraum. Die Redensart „sich wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten“ ist alltagssprachlich als Vorwurf gemeint: „sich ungeschickt, unbeholfen oder auch taktlos verhalten“. Die Tiere Afrikas lehren uns eine ganz andere Weisheit: den rücksichtsvollen Umgang miteinander. Und genau dafür wirbt die Künstlerin mit ihren Tierporträts in ihrer Ausstellung.
Zitate aus ihrem Sketchbuch zeigen die Grafikerin in bester Gesellschaft weltweit tätiger Natur- und Tierschützer: US-Indianer, Dichter, Biologen. Eine von ihnen ist die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall, die in den 1960er-Jahren begann, die Lebensweise von Schimpansen in Tansania zu untersuchen: „Nur wenn wir verstehen, können wir uns kümmern. Nur wenn wir uns kümmern, werden wir helfen. Nur wenn wir helfen, können sie gerettet werden“. Ein Besuch in Ankes Atelier hilft zu verstehen. Tiere wie Menschen.
Mit dem Bleistift allein zeichnet Ralf Wilhelm Schmidt großformatig und realistisch lokale Vögel, Bäume und Landschaften. "Ich fange früh an, zum Beispiel am Wentorfgraben, skizziere grob draußen, zu Hause entsteht der Rest", sagt der Frühaufsteher. "Der frühe Vogel ... da ist was dran, nur dann erlebe ich den Eisvogel. Ein Diamant des Wassers, klein, sehr scheu, sehr schnell." "Dreiviertel meines Lebens, bisher, war ich Forstwirt, im Angestelltenverhältnis, total abhängig." Er hat ihn gewagt, den Schritt in die Freiheit - des Waldes, des Arbeitsplans, der Kunst.
Wie lange braucht er, um seine großformatigen Zeichnungen herzustellen? Und wie viele Bleistifte verbraucht er dabei? "Also, für ein Format 130x180 brauche ich etwa sechs Monate. Und 30-40 Bleistifte", gibt Schmidt bereitwillig Auskunft. "Obwohl", wendet er ein, "Kunst ist ein kreativer Prozess, duldet den Verstand nicht, auch keine Statistik."
Der Zeichner Schmidt gibt sein Talent an Interessierte weiter: vor Ort wie online. Er leitet dazu an, Augen zu zeichnen. "Augen sind der lebendige Ausdruck in jedem Porträt", ist er überzeugt und macht Mut: "Auch ungeübte Zeichner lernen es." Drei Stunden Zeit bringen Teilnehmer für den Zeichen-Workshop live vor Ort mit, vier Stunden (mit eigenen Pausen und Tempo) für den Online-Kurs, inkl. Kommunikation mit dem Künstler.
Und wie geht er mit seinen interessierten Laien im Atelier um? "Erst lasse ich sie Augen zeichnen, wie sie es kennen und können. Dann sehe ich schon Stärken und habe einen Weg für jeden Einzelnen im Atelier." Individuelle Lernwege also? Nicht ganz, es gibt auch eine Kursanleitung step by step für alle: Materialkunde (drei Härtegrade für Bleistifte, Papierwischer, Radiergummi, Arbeitspapiere), Warmzeichnen, Anatomie des Auges. Auch Leonardo da Vinci kam über seine anatomischen Kenntnisse des menschlichen Körpers zum künstlerischen Ziel (er sezierte allerdings auch, tierische wie menschliche Kadaver - das bleibt den Zeichenschülern erspart). "Es geht um den Weg, das Erproben, natürlich auch um das Ergebnis", ist sich Schmidt sicher.
Dem alten Gemäuer der Caputher Häuser hat die Kunst neues Leben eingehaucht.
Im Westflügel des Caputher Schlosses etwa gastiert ein Künstlerpaar mit polaren Stilrichtungen, Mareike Felsch und Chris Wegner.
SIE gestaltet üppig, übermalt historische Postkarten aus der Kunst- und Kulturbibliothek Berlin mit Frauen, z.B. in der Bademode der 20er-Jahre oder Freizeitkleidung der 70er-Jahre, und umrahmt sie floral auf Bütten und Leinwand.
ER arbeitet minimalistisch, reduziert in Stadtfotos Formen bis auf parallele vertikale Farblinien und hält seine FineArt Prints auf AluDibond fest.
Keine Gefahr, dass BEIDE in Konkurrenz zueinander zu gehen. Eher ist die gemeinsame Freude an kräftigen Farben, das, was die beiden verbindet, und der wechselseitige Respekt für die künstlerische Leidenschaft des Partners.
Für Chris Wegner ging die Dozenten-tätigkeit nach einem Schlaganfall 2008 zu Ende. Die Fotografie führte ihn auf kreative Pfade. Im Leben wie in der Kunst ist Minimalismus seine dominante Beschäftigung geworden. Moderne Gebäude mit geraden Bauformen in Potsdam, Berlin und Hamburg reizen ihn, sie im Foto festzuhalten, um sie dann künstlerisch auf das Wesentliche zu reduzieren. In der Gegenüberstellung von Fotografie und Kunstdruck erleben Betrachter den Entwicklungsbogen zwischen großartiger Gebäudearchitektur, gestaltender Kameralinse + Fotografenauge) und kongenialer Neuschöpfung im Künstlerdruck. Die Verwandtschaft zum Initialbild bleibt erhalten.
Links: Chris Wegners Foto der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) hinter dem Potsdamer Bahnhof, während der Lichtershow "Potsdam leuchtet"
Rechts: Chris Wegners FineArt Print ILB 2, eine 10-Farben-Druck auf Hahnemühle Bütten, 75 Jahre Garantie auf Farbechtheit
Das Alte Kino ist Schaubühne für ein weiteres Künstler-Duo mit unterschiedlichen Kunstobjekte.
Seit 1991 laufen hier keine Filme mehr von der Spule.
Als Reina Marten hier 2005 einzog, war das alte Gemäuer schon in Wohnhaus mit Atelier umgebaut.
Die Architektin findet 2018 zur Kunst, erst mit Zeichnungen und übermalten Fotografien, "erst danach habe ich mich an Farbe herangetastet. Noch habe ich keinen Stil gefunden", bekennt sie, "ich bin eher noch auf der Suche." Und findet Schönheit im Winzigen: etwa in der Gottesanbeterin oder der Gelbfiebermücke, die sie "auf Menschengröße hochzieht." Und auch stilgerecht im Porträtrahmen ausstellt. Aus Respekt vor der Komplexität und doch Kurzlebigkeit dieser Kleinsten im kreatürlichen Kreislauf.
Uwe Kahl - Bildhauers aus Dresden mit Atelier in Berlin - versteht sich auf Frauen: Er schätzt ihre grazile Gestalt, die er aus Pappelholz herausschält und mit Wachs hochglänzend scheinen lässt, in Büstengröße wie als handliche Königin auf dem Schachbrett. Streunende Hunde aus Osteuropa wecken seine Empathie und seine gestalterische Freude an ihrer kämpferischen Statur in Bronze.
In der Alten Autowäscherei ist Silke Heydrich auf der Suche nach neuen Maltechniken und Ausdrucksformen. Sie arbeitet mit Öl und Acryl, Pastellkreiden, mit Stoff und Wolle und hat Freude am Pouring, dem Gießen, Kippen und Laufenlassen von Aquarell- und Acrylfarben auf Papier. Das Letztere wäre auch eine Technik, die Kinder begeistern könnte, schon allein wegen der "Wahnsinnssauerei", die das Farbengießen verursacht, aber auch wegen der gelungenen Produkte. Mit anderer "kinderleichter" Technik, nämlich dem Seifenblasen durch Strohhalme, entstehen schnell farben- und lebensfrohe Kreise, auch im Grußkartenformat (mittleres Foto).
Noch im aktiven Berufsleben als Architektin mit 40-Stunden-Wochen rhythmisiert Silke Heydrich ihre Freizeit im Jahr nach sommerlicher Gartenarbeit und winterlichen Malstunden.
Als die Autowäscherei ihres Vater 1991 eingestellt wurde, verwandelte sie Werk- zu Ausstellungsräumen und wuchs die Nutz- und Freizeitgartenkultur. Das 150 Meter tiefe Grundstück ist seit über 100 Jahren in Familienbesitz.
Und dann zur letzten Station auf meiner 2-tägigen Kunsttour durch Caputh.
In ihrem lichten Neubau in der Lindenstraße wohnt das Künstler-Duo AlTo seit 2018. Alexia Breidenbach und Toni Zeilhofer zog es nach der Wende aus Düsseldorf immer wieder auf Stippvisite in den Osten, dann die Übersiedelung und ein paar Jahre Eingewöhnung in das Caputher Dorfleben in verschiedenen Behausungen, bis der Holz-Glasbau sie und ihre Kunstwerke beherbergte. Wie klappte die West-Ost-Wanderung? "Man muss sich auf die Leute einlassen", ist Toni überzeugt. "Dann erlebt man sie als kontaktfreudig und hilfsbereit", fährt Alexia fort. "So kamen wir an Grundstück, Baufahrzeuge und lecker Obst und Gemüse aus dem Gartenanbau", erinnert sie sich dankbar. "Ja, wir sind hier angekommen", bestätigt Toni, "vor allem über den Kulturbetrieb."
Das Künstler-Duo gibt mir Einblick in seinen "gemeinsamen Malprozess." Nach einer zündenden Idee, z.B. dem Close-Up-Foto, das Alexia mit ihrem Smartphone von einer Blüte macht, fängt einer mit einem Element an, meist Alexia, "ich bin ja seit kurzem stinkefaul", bekennt Toni lachend, der andere setzt mit der Bildstruktur fort, dann folgen weitere Details.
Gemeinschaftsbilder gelingen ("meist", höre ich wieder Tonis Lacher), weil beide Künstler gleichwertige Vorstellungen von Kunst und einen gleich starken Gestaltungswillen haben. Und gegenseitige Toleranz aufbringen, wenn sich ein Bild im Prozess zu etwas anderem entwickelt als gedacht.
So entstehen diese Bilder: ein Alltagserlebnis in der Küchen, Kinder beim Baden in einer Bucht des Caputher Sees, Hortensie mit Blatt und Blüten in übergroßer Form und Schönheit.
Und was passiert, wenn's einen von beiden packt und er oder sie das Bild im ungehinderten Schaffensdrang und im Alleingang fertigstellt? "Ja, kann passieren", gibt Toni zu und zwinkert Alexia zu: "Aber dann darf ich zumindest meinen Namen mit reinsetzen!"
Die Kunsttour geht für mich heute zu Ende. Mit einem Aquarell von AlTo, ich vermute, meinem Tour-Favoriten, kehre ich zurück in den Alltag, mit Eindrücken übervoll, noch unsortiert. Eine Bilderflut in meinem Kopf! Schreiben hilft!
"Kunst will sehen lehren" -
Diesen Spruch höre ich oft. Heute wurde er wahr.
AlTo, "Efeubeeren", 2018
INFO: Die Kunst-Tour wird am Sa/So, 4./5. September fortgesetzt. Genaue Standorte in den ausliegenden Flyern des Kulturforums.
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